Europa hat die Berufsbildung komplett verändert. Viele von uns haben allerdings noch gar nicht mitbekommen, wie wesentlich die Veränderungen sind und wie stark sie uns beeinflussen. Schon jetzt! Teilweise sind selbst Lehrer und Ausbilder noch völlig ahnungslos, was da in Europa um uns herum geschehen ist. Verpasste Chancen! Um es gleich vorweg zu sagen: Europa hat riesige Chancen für alle Beteiligten in der Berufsbildung geschaffen! Wer weiß denn, dass nach europäischem Recht der Meister heute auf Augenhöhe mit einem Universitätsabschluss steht? Manchmal schrecken auch die vielen neuen Begriffe ab. Eines aber ist sicher: Die europäischen Prozesse in der Berufsbildung sind ein exellentes Beispiel für die Notwendigkeit des lebenslangen Lernens. Damit Ihr nicht schon mit Beginn des Berufslebens hoffnungslos veraltet seid, hier der Versuch, Euch die europäische Berufsbildung ein wenig zu erklären und Euch für diese Prozesse zu interessieren.
Die europäische Berufsbildung wird durch verschiedene Programme, auf die sich alle europäischen Staaten verbindlich geeinigt haben (man muss die Prozesse umsetzen, nicht man kann!), beeinflusst:
EQAVET (European Quality Assurance in Vocational Education and Training), verbindlicher Beschluss Kopenhagen, Dänemark 2002

planen – machen – überprüfen
EQAVET ist die Vereinbarung zur Einführung von Qualitätssicherungssystemen in der Berufsbildung. Hört sich kompliziert an, schafft aber mehr Arbeitszufriedenheit bei Chefs und Mitarbeitern. Kurz zusammengefasst heißt es: Planen – Machen – Überprüfen. Ein Qualitätscircle. Chefs und Mitarbeiter setzen sich zusammen und planen Arbeitsabläufe, probieren sie aus und setzen sich dann wieder zusammen, um zu überprüfen, ob die Planungen sich bewährt haben. Wenn nicht, wird geändert, wieder probiert und notfalls wiederum geändert. Damit passt sich das System auch automatisch an verändernde Bedingungen an, denn was in den letzten Jahren noch geklappt hat, das muss aktuell schon lange nicht mehr hilfreich sein. Ein gutes Beispiel ist z.B. der Umgang mit Entwurmungsmitteln und seine drohenden Resistenzen. Das jeweils vereinbarte Verfahren wird schriftlich festgelegt, im sog. Qualitätshandbuch. Das Qualitätshandbuch besteht also aus einzelnen Kapiteln, die sich jeweils mit einem Prozess befassen, so der Entwurmung, der Behandlung der Stahlfäule, der Gabe von Grundfutter, die Reaktion des Menschens bei Kolikverdacht, Vergiftungsverdacht oder bei Arbeitsunfällen. Prozesse in einem Qualitätshandbuch sind also nichts anderes als die verbindlichen Notizen, wie der Betrieb xyz mit der Situation abc umgehen will. Die Eintragungen sind natürlich in jedem Betrieb auch verschieden, denn ein Betriebsleiter entscheidet auch das Profil eines Pferdebetriebes: Freizeitreiter, Turnierreiter, Kinder, Western, Dressur, Springen, Wanderreitbetrieb, Urlaubsdomizil, ökologisch, stylisch, edel, romantisch, … .Mit einem funktionierenden Qualitätsmanagement diskutieren Chefs und Mitarbeiter immer auf Augenhöhe, die Arbeitszufriedenheit und damit die Arbeitsqualität steigt deutlich, denn Chefs müssen ihren Mitarbeitern zuhören und Mitarbeiter verstehen die Argumente der Chefs besser. Das gilt auch für die Berufsausbildung und Fortbildung. Jetzt versteht Ihr vielleicht, dass das Qualitätsmanagement in der neuen Verordnung zum Pferdewirt und demnächst beim Pferdewirtschaftsmeister eine so große Rolle spielt und nicht der Tick einzelner Personen ist.
EU SDS (European Sustainable Development Strategy): Europäische Nachhaltigkeitsstrategie (Beschluss 2001 in Göteborg/ Schweden)
Ziel ist es, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und wirtschaftliche Entwicklung zu kombinieren und somit eine dauerhafte nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Jetzt versteht Ihr, warum in der Neuordnung des Berufes Pferdewirt die Nachhaltigkeit einen ganz hohen Stellenwert bekommen hat. Nachhaltigkeit ist nach dieser verbindlichen europäischen Nachhaltigkeitsstrategie, dass alle Maßnahmen z.B. eines Pferdewirtes oder Pferdeiwirtschaftsmeisters nach sozialen, ökologischen und ökonomischen Kriterien beurteilt werden müssen. Wer also einen Pferdebetrieb nachhaltig führt, muss beispielhaft darauf achten, dass sein Betrieb die Mitarbeiter nicht durch Arbeitszeit und mangelnde Fortbildung überfordert, die Pflege der Weiden den Boden schützt und der Betrieb überhaupt Gewinn macht, damit z.B. das Personal überhaupt fair entlohnt werden kann und Geräte ständig gewartet werden können, damit sie die Umwelt schonen. Jetzt versteht Ihr, dass Nachhaltigkeit ein sog. übergeordnetes Lernziel in der Ausbildung zum Pferdewirt/ Pferdewirtschaftsmeister ist und ständig in der Ausbildung sowohl von der Berufsschule als auch vom Betrieb beachtet werden muss. Nachhaltigkeit ist nicht das Geschwätz von irgendwelchen Ökospinnern, sondern die verantwortungsvolle Kombination von Umwelt, Soziales und Einkommen um einen Betrieb zu führen, der unsere Lebenswelt erhält und nicht zerstört.
ECVET (beschlossen von der Europäischen Kommission 2009)
Das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET) garantiert, dass alle im gesamten Berufsleben gemachten Aus-, Fort- und Weiterbildungen (lebenslanges Lernen) europaweit dokumentiert werden. Gleich was und wo man etwas gelernt hat, es wird im Europass dokumentiert, welche Fertigkeiten und Kompetenzen eine Person hat. Die Pädagogen sagen, es ist die Abkehr vom Eintrichtern und Denken in Fächern (Inputdenken) und die Hinwendung zum handlungsorientierten Lernen und Kompetenzen eines Menschens (Outcomeorientierung). Vielleicht versteht Ihr jetzt, dass es in der Pferdewirtausbildung nicht mehr Prüfungen in Mathe oder Anatomie gibt, sondern geprüft werden muss, wie Ihr ein Pferd z.B. bei Strahlfäule versorgt oder den Kunden das Verladen von Pferden beigebracht werden kann. Kompetenzen zur Bewältigung berufstypischer Aufgaben anstelle des Herunterbetens auswendig gelernter Fakten, so könnte der Prozess auch beschrieben werden. Nennen Sie mir…, sagen Sie mir…, zählen Sie mir auf… darf es in Prüfungen nicht mehr geben, an diesen Anweisungen erkennt Ihr den hoffnungslos veralteten, vergreisten Prüfer und eine nicht sorgfältig kontrollierende und Prüfer fortbildende Zuständige Stelle. Gegen derartige Prüfungen könnt Ihr Euch wehren, denn auch Prüfer und Zuständige Stellen haben nach den europäischen Beschlüssen die Pflicht, lebenslang zu lernen!
Weil es so wichtig ist, ein anderes Beispiel. Bisher war es wichtig, Wissen anzuhäufen und in Prüfungen zu dokumentieren. Je mehr, desto besser. Deshalb habt Ihr den Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss und das Abitur angestrebt. Diese Abschlüsse waren dann die alleinige Zugangsberechtigung zum Studium. Da konnte ein Hauptschüler noch so gut im Beruf sein, ein Studium war für ihn nicht möglich, nein EQR 6 ist für einen Hauptschüler nicht angemessen. Wir da oben, ihr da unten. Mit dem Wandel vom abfragbaren Wissen hin zu Kompetenzen ist das komplett anders geworden. Für den Beruf Pferdewirt ist kein Schulabschluss erforderlich. Wer dennoch in seinem Beruf gut ist, ist mit der Abschlussprüfung Pferdewirt und im Niveau EQR 4. Wer wiederum als Pferdewirt erfolgreich ist, erreicht den Pferdewirtschaftsmeister in EQR 6. Damit ist ein ein Schüler/Schülerin ohne Schulabschluss auf Augenhöhe mit einem studierten Bachelor, ganz ohne Hauptschulabschluss, Realschule oder Abitur. Die Berufsausbildung, so sagen Fachleute, ist nicht mehr eine Sackgasse, es ist ein durchlässiges System geworden. Und das ist gut so. Das ist gut für Euch!
Im Übrigen werdet Ihr Euch nicht mehr fragen, warum die Berufsschule jetzt nicht mehr in Fächern, sondern (hoffentlich) in Lernfeldern unterrichtet und in der Abschlussprüfung grundsätzlich die Qualifikation eines fertig ausgebildeten Pferdewirtes/in erwartet wird.
- ECVET fördert die Attraktivität der beruflichen Aus- und Weiterbildung
- ECVET fördert lebenslanges Lernen
- ECVET fördert Mobilität
- ECVET beschreibt Kompetenzen und bescheinigt nicht angehäuftes Wissen
Damit Aus-, Fort- und Weiterbildungen in ganz Europa gesammelt und auch entsprechend anerkannt werden können, gilt seit 2012 der verbindliche
DQR
Der Deutscher Qualifikationsrahmen ist seit 31.01.2012 in Kraft. Durch die Einordnung verschiedenster Aus-, Fort- und Weiterbildungen in 8 Levels (Stufen) gibt es eine Gleichwertigkeit zwischen der Hochschul-, Allgemein- und Berufsbildung. Ab 2013 muss das Pferdewirt- und das Meisterzeugnis den Hinweis auf das Level DQR/EQR nennen.
Die Einordnung des nationalen Qualifikationsrahmens, bei uns der Deutsche Qualifikationsrahmen, in Belgien der BQR, usw., muss immer zum Europäischen Qualifikationsrahmen EQR erfolgen, denn einige Länder haben mehr Levels im nationalen Qualifikationsrahmen als im EQR und müssen ihre Levels dann zuordnen. Der DQR hat die selben Levels wie der EQR und ist somit 1:1 zu übertragen.
Der DQR beschreibt in seinen Levels gleichwertige, nicht gleichartige Qualifikationen.
Der DQR sagt deshalb nichts über Zugangsberechtigungen, hat also keine Wirkung auf Zugangsberechtigungen.
Hier kommt die wirkliche Revolution der Berufsbildung in Deutschland: Der Meister ist mit dem Bachelor gleichwertig! Damit hat die Europäische Union die Berufsausbildung deutlich aufgewertet. Uniabsolventen (Bachelor) und Pferdewirtschaftsmeister diskutieren ab jetzt immer auf Augenhöhe!
Der DQR
Niveau 1 (Berufsausbildungsvorbereitung BvB, BVJ)
Über Kompetenzen zur Erfüllung einfacher Anforderungen in einem überschaubar und stabil strukturierten Lern- oder Arbeitsbereich verfügen. Die Erfüllung der Auf- gaben erfolgt unter Anleitung.
Niveau 2 (Berufsausbildungsvorbereitung BvB, BVJ,EQ, Berufsfachschule Berufliche Grundbildung)
Über Kompetenzen zur fachgerechten Erfüllung grundlegender Anforderungen in einem überschaubar und stabil strukturierten Lern- oder Arbeitsbereich verfügen. Die Erfüllung der Aufgaben erfolgt weitgehend unter Anleitung.
Niveau 3 (2jährige Berufsausbildung, Berufsfachschule mit mittlerem Schulabschluss)
Über Kompetenzen zur selbständigen Erfüllung fachlicher Anforderungen in einem noch überschaubaren und zum Teil offen strukturierten Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen.
Niveau 4 (Berufsabschluss Pferdewirt und alle drei- und dreieinhalbjährigen Ausbildungsberufe, Assistentenberufe Berufsfachschule, Berufsfachschule mit vollqualifizierender Berufsausbildung
Über Kompetenzen zur selbständigen Planung und Bearbeitung fachlicher Aufgabenstellungen in einem umfassenden, sich verändernden Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen.
Niveau 5 (Schmied, Besamungswart, geprüfter Servicetechniker, zertifizierter IT- Spezialist)
Über Kompetenzen zur selbständigen Planung und Bearbeitung umfassender fachlicher Aufgabenstellungen in einem komplexen, spezialisierten, sich verändernden Lernbereich oder beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen.
Niveau 6 (alle geprüften Meister und Pferdewirtschaftsmeister, alle Bachelorabschlüsse und Bachelor Pferdewissenschaft,Fachschule mit staatlich geprüftem Abschluss, geprüfter Fachwirt)
Über Kompetenzen zur Planung, Bearbeitung und Auswertung von umfassenden fachlichen Aufgaben- und Problemstellungen sowie zur eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in Teilbereichen eines wissenschaftlichen Faches oder in einem beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen. Die Anforderungsstruktur ist durch Komplexität und häufige Veränderungen gekennzeichnet.
Niveau 7 (Master, Master Pferdewissenschaft, Berufsschullehrer, Arzt, … )
Über Kompetenzen zur Bearbeitung von neuen komplexen Aufgaben- und Problemstellungen sowie zur eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen in einem wissenschaftlichen Fach oder in einem strategieorientierten beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen. Die Anforderungsstruktur ist durch häufige und unvorhersehbare Veränderungen gekennzeichnet.
Niveau 8 (Promotion, Professor, usw.)
Über Kompetenzen zur Gewinnung von Forschungserkenntnissen in einem wissenschaftlichen Fach oder zur Entwicklung innovativer Lösungen und Verfahren in einem beruflichen Tätigkeitsfeld verfügen. Die Anforderungsstruktur ist durch neuartige und unklare Problemlagen gekennzeichnet.
EQR
1:1 mit DQR vergleichbar, das kann in anderen Staaten anders sein, so hat Irland selber mehr als 8 Levels und muss entsprechend seine nationalen Levels in den EQR vornehmen. Also wer eine Ausbildung in Irland macht oder eine irische Ausbildung bewerten möchte, schaut nicht nach dem irischen Qualitätsrahmen IQR sondern nach dem europäischen Qualifikationsrahmen EQR.
Beruf heißt heute besser Berufsfamilie

Nach heutiger Sicht ist der Beruf nicht nur der Erwerb eines Ausbildungsberufes, sondern die ganze Vielfalt von Ausbildungsqualifikationen, Zusatzqualifikationen und Aufstiegsqualifikationen rund um den Beruf, die alle im Europass dokumentiert werden. Beispiel: Pferdewirt kombiniert mit Hufbeschlagschmied, Besamungstechniker oder Einzelhandelskauffrau/mann.
Achtung: Die Anbieter von Ausbildungsqualifikationen, Zusatzqualifikationen und Aufstiegsqualifikationen müssen von der nationalen Koordinierungsstelle zertifiziert sein, private Mickey- Mouse- Examen von den vielen selbsternannten Pferdeexperten dürfen nicht akzeptiert werden. Lernende sollten hier besonders darauf achten, weil, wegen der demografischen Entwicklung, der Kampf der Anbieter immer aggressiver wird. Eine Qualifizierung ist nur dann anrechenbar, wenn vom Träger die europass Zeugniserläuterungen bescheinigt werden. Erstellt werden sie vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Abstimmung mit den Sozialpartnern.
Ohne europass Zeugniserläuterungen, die alle im Internet eingesehen werden können, ist eine Aus- und Weiterbildung kritisch zu beurteilen. Beispiel Pferdewirt der offiziellen Zeugniserläuterung.
Zusammenfassung
Die heutige Berufsbildung (Aus-, Fort-, Weiterbildung) …
- denkt nicht mehr nur in einem Beruf, sondern in Berufsfamilien.
- dauert ein ganzes Berufsleben (lebenslanges Lernen).
- kann in ganz Europa erworben werden und wird dort dann überall anerkannt.
- unterliegt immer einem Qualitätsmanagement (plan-do-check).
- handelt nachhaltig (Ökonomie-Ökologie-Soziales).
- vermittelt Qualifikationen und nicht stures, auswendig zu erlernendes Faktenwissen.
- ist ein durchlässiges System und keine Sackgasse mehr.