
Manchmal muss man/frau große Sprünge wagen.
Ich habe so viele Fragen!
Ich heiße n.n. (ich habe Deinen Namen mal weggelassen), bin 20 Jahre und befinde mich am Ende des ersten Lehrjahres der Ausbildung zur Pferdewirtin/Haltung und Service. Ich habe nach reiflicher Überlegung entschieden, dass ich den Betrieb wechseln möchte. Damit ich die bereits geleistete Zeit nicht erneut erbringen muss, möchte ich meinen derzeitigen Betrieb um eine beidseitige Aufhebung des Ausbildungsvertrags bitten.
Ich habe berechtigte Sorge, dass meine Ausbilderin mir diesen Wunsch verwehren wird. Hinzu kommt, dass ich die Sorge habe, dass sie mich während des Gesprächs sofort kündigen wird. Ich kenne meine Rechte nicht gut genug, um mich in dieser Situation souverän zu verhalten und wäre für eine Beratung (telefonisch oder per E-Mail) sehr dankbar, um mich strategisch gut vorzubereiten.
Diese Fragen beschäftigen mich besonders:
1. Kann mich meine Ausbilderin fristlos kündigen?
2. Kann ich (im Notfall) fristlos kündigen?
3. Wie lange darf meine Ausbilderin die Unterschrift (bei beidseitiger Aufhebung) hinauszögern?
4. Bekomme ich eine schriftliche Bestätigung/kann ich eine einfordern?
5. Ich wohne (zwangsweise) auf meinem Ausbildungshof. Wie ist hier die Kündigungslage/Räumungsfrist?
6. Wie lange habe ich (nach Aufhebung) Zeit, mir einen neuen Betrieb zu suchen/dort anzufangen?
Mit herzlichen Grüßen,
Dietbert Arnold
Liebe n.n.,
grundsätzlich darf ich Dir keine Rechtsberatung geben. Das dürfen nur Rechtsanwälte, die Rechtsschutzabteilungen der Gewerkschaften und die Zuständigen Stellen der Berufsbildung.
Grundsätzlich fällt mir auf, dass Du Dich mit dem Kündigungsrecht- bzw. Aufhebungswunsch Deines Ausbildungsvertrages sehr wenig vorher beschäftigt hast. Nahezu alle Fragen kannst Du Dir selber beantworten, wenn Du einmal in das Berufsbildungsgesetz (§22 Kündigung) schaust. Eine Kündigung nach der Probezeit muss immer begründet werden. Eine einvernehmliche Vertragsauflösung ist auch möglich, dazu müssen aber beide Seiten zustimmen. Dort im Berufsausbildungsgesetz ist auch geregelt, dass Du am Ende ein Recht auf ein Zeugnis hast.
Du merkst jetzt, dass Du im Erwachsenenleben angekommen bist und Handlungen durchaus Rechtsfolgen haben können.
Was mir jetzt so durch den Kopf geht: Habt Ihr denn im 1. Schuljahr in der Berufsschule nicht über den Inhalt des Berufsbildungsvertrages gesprochen?
Was kann ich Dir jetzt raten?
1. Du setzt Dich sofort mit den Ausbildungsberatern*innen der sog. Zuständigen Stelle für die Berufsbildung zusammen. Diese Zuständige Stelle ist diejenige, die Deinen Berufsausbildungsvertrag unterschieben hat. Die Ausbildungsberater*innen müssen Dich neutral und umfassend beraten. Das ist ihre gesetzliche Aufgabe.
2. Du setzt Dich mit der Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt in Verbindung und bittest um eine Rechtsberatung. Das geht aber nur, wenn Du auch Mitglied bei der Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt bist. Also frage die Kollegen der Gewerkschaft, ob die Dich beraten, wenn Du gerade erst in die Gewerkschaft eingetreten bist, denn normalerweise gibt es logischerweise eine Wartefrist zwischen Gewerkschaftseintritt und Rechtsberatung bzw. Rechtsschutz. Da diese Leistung kostenfrei für ihre Mitglieder ist, achtet die Gewerkschaft natürlich darauf, dass die Azubis nicht erst, wenn sie einen Rechtschutzfall haben. Ist doch klar, dass der teure Rechtsschutz natürlich nur durch die vielen Mitgliedsbeiträge der Mitglieder finanziert werden kann.
Übrigens: Das ist genau der Grund, warum ich immer predige, dass alle Azubis vom ersten Tag an Mitglied ihrer Gewerkschaft werden sollten.
Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen und Du musst sehen, ob Dir die Gewerkschaft dennoch helfen kann, auch wenn Du erst jetzt Mitglied wirst. Es kann sein, muss aber nicht sein.
Unter IGBAU.de findest Du die Büros der IG Bauen, Agrar, Umwelt in Deiner Region.
Auch hier wieder meine Überlegung: Habt Ihr in der Berufsschule im ersten Ausbildungsjahr nicht über die Gewerkschaft gesprochen?
Bezüglich der Wohnung im Betrieb: Hier muss unterschieden werden, ob das Wohnen im Betrieb im Ausbildungsvertrag steht und die „Miete“ vom Lohn angezogen wird (steht dann auf dem Gehaltszettel) oder ob es sich um einen normalen Mietvertrag handelt. Steht das Wohnen im Ausbildungsvertrag und ist teil der Lohnabrechnung, dann endet das Wohnen mit dem Tag der Vertragsauflösung. Ansonsten gilt das übliche Mietrecht.
DU musst jetzt handeln, DU musst Dich richtig informieren und DU musst Dir jetzt Hilfe holen bei der Zuständigen Stelle (Adressen stehen hier auf meiner Seite) und zusätzlich, wenn Du möchtest, bei der Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU).
Jetzt hast Du einen großen Sack Hausaufgaben von mir bekommen und ich drücke Dir die Daumen, dass alles so wird wie Du es Dir wünscht. Willkommnen im Erwachsenenleben!